Normalerweise habe ich hier in den Hands-on-Berichten immer modernste Technik, die neuesten Kameras und Objektive. Heute kommt alles anders…
Das „Nikkor 105mm f1.8“ ist altes Glas. Genauer gesagt, schon über 30 Jahre alt. Aber ähnlich wie das 50mm f1.2, über das ich hier schon geschrieben habe, ist es ein recht beeindruckendes Stück Objektiv.
Eindruck
Ich schätze, Nikon wollte damit einfach mal ausprobieren, „was so geht“ an Lichtstärke im leichten Telebereich. Denn ist eines der schnellsten Objektive, die Nikon gebaut hat. Und es hat eine recht eindrucksvolle Erscheinung…
Wie bei den meisten Linsenkonstruktionen, die manuell sind und mehr als 20 Jahre auf dem Buckel haben, hat man das Gefühl, noch echte mechanische Technik in der Hand zu haben. Das Nikkor wiegt rund 600 metallene Gramm, ist etwa 8,8 Zentimeter lang und hat einen Durchmesser von rund 7,8 Zentimetern. Und der besteht an der Front fast ausnahmslos aus Glas.
Der Fokusring läuft etwas schwergängig aber butterweich, also eine wahre Freude in der Bedienung. Weniger günstig ist der Blendenring angelegt. Der ist nämlich direkt am Bajonett und verschwindet damit in der Versenkung zwischen weit gezogenem Objektivgehäuse und verkaspertem Kameragehäuse, das sich drüber legt. Man braucht also schlanke Fingerchen, wenn man die Blende verstellen will.
Das darf und muss man an modernen Kameras übrigens auch, denn auf eine bestimmte Blende stellen und dann an der Kamera regeln geht nicht. Von elektronischen Kontakten am Bajonett gibt es keine Spur. Dafür kann man jedoch – an meiner Nikon D800 zum Beispiel – das Objektiv einspeichern und der Kamera so sagen, mit was sie gerade verbandelt ist. Es hilft ihr dann, die Belichtung danach auszurichten.
Eigenschaften
Warum hat Nikon eigentlich das Objektiv gebaut? Selbst in den Achtzigern hatte sich ein 85-Millimeter-Objektiv bereits als Porträtlinse durchgesetzt. Warum die längere Brennweite? Kann man nicht genau sagen, aber man kann es vermuten: Weil es vielleicht noch eine gute Schippe an fettem Bokeh obendrauf legt.
Ihr könnt es auf den Bildern sehen: stellt man ein Motiv heraus, dann verwandelt sich jeder Hintergrund in eine Leinwand, die nur dazu da ist, euer Motiv zu präsentieren. Das ganze Objektiv scheint diesem Ruf zu folgen, denn es ist auf Minimalismus und maximale Leistung getrimmt: im Inneren besitzt es lediglich 5 Linsen in 5 Gruppen und keinerlei Schnickschnack.
Ich habe es oben erwähnt: schaut man von vorne in das Objektiv, hat man das Gefühl in einen massiven Block geschmolzenen Sand zu schauen. Es sieht fast aus wie ein Glasbaustein, der nur ungewöhnlich klar ist. Die Frontlinse macht einen monströs weit geöffneten Eindruck und das ist sie auch. Tatsächlich schluckt das Ding dermaßen viel Licht, dass man genau darauf achten muss. Fängt man sich nämlich zuviel Licht ein, erhält man Streu-Effekte, die den Kontrast auf den Bildern senken, was sie scheinbar leicht unscharf macht. Sieht man auch hier auf manchen Bildern im Artikel.
Die Naheinstellgrenze liegt bei nur einem Meter, was großartig ist bei der Brennweite, weil man so auch in den Genuss eines Hauchs von Makro-Abbildungsmaßstab kommt. Das ist aber ebenfalls nur subjektiv – der maximale Abbildungsmaßstab liegt bei 1:7,6, was weit weg ist vom Makrobereich. Dadurch, dass der Bildeindruck bei Offenblende aber so massiv konzentriert ist, kann man einzelne, filigrane Motive unheimlich schön freistellen.
Performance
So eine immens hohe Lichtstärke bei der Brennweite hat natürlich eine ernste Konsequenz: eine extrem geringe Schärfeebene. Gerade an einer Vollformatkamera und bei maximal aufgerissener Blende braucht man während dem Auslösen nur einatmen und man hat schon die Pupille eines Models verpasst.
Teilweise kann es auch vorkommen, dass der Schärfepunkt nicht exakt da liegt, wo er sein sollte – Stichwort Backfocus und Frontfocus. Liegt einfach daran, dass die Fertigungstechniken von vor 30 Jahren noch nicht so extrem genau waren, wie heutzutage und es je nach Modell zu Abweichungen kommen kann. Dem kann man aber abhelfen, indem man die Spiegelstellung der Kamera korrigiert und Testaufnahmen macht, um den richtigen Schärfepunkt zu finden. Auch das kann man dann abspeichern und stets aufrufen, wenn man das Objektiv ansetzt.
Auf meinen Bildern hier im Artikel sieht man es nicht so gut, weil ich absichtlich mit f1,8 fotografiert habe – aber das Nikkor 105mm f1.8 ist verflucht scharf. Wie immer kann das bei f1,8 noch nicht so zum tragen kommen, aber bereits auf f2,0 abgeblendet sieht man es. Zum Beispiel in diesem Flickr-Album hier.
Ansonsten erfordert das Nikkor Liebe und Hingabe. Man muss – wie bei eigentlich allen manuellen Optiken – ein Gefühl dafür entwickeln und ein gutes Auge. Hat man beides, belohnt es mit malerischen Bildeindrücken.
Fazit
Das Nikkor 105mm f1.8 ist ein besonderes, robustes und unverwüstliches Objektiv. Eines von der Sorte, denen noch die Produktionsnummer aufgeprägt ist.
Es ist für dies und jenes vermutlich nicht die beste Wahl und man muss wissen, wie man damit umzugehen hat. Für Gelegenheitsknipser ist es sicher nicht der erste Griff. Und auch nicht für solche, die hochmoderne Optiken mit Autofokus, Bildstabilisator und modernen, leichten Materialien wollen.
Das 105er Nikkor ist eher etwas für Genießer und für solche Leute, die wissen, mit welch feinem Geschmack man die Ästhetik eines Bilds genießen kann.
Mehr!
- Die Bilder oben kann man sich hier in Originalauflösung anschauen.
- Weitere voll aufgelöste Bilder zu meinen Hands On-Berichten sind hier zu finden.
- Mehr Hands on-Berichte selbst zu verschiedensten Kameras und Objektiven gibt es hier.
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