Fühl dich analog, schwarzweiß oder wie du willst. Aber pack mehr Atmosphäre in deine Fotos!
Ganz langsam habe ich mit den vorherigen drei Artikeln dieser Reihe in die Richtung geführt, auf die wir uns nun konkret einschießen: den Bildern einen bestimmten Look zu geben. Aber welchen?
Ich möchte bei „Dunkelkammerkunst“ Wege aufzeigen, mit denen es gelingt, Bilder lebendiger, fühlbarer zu machen. Tatsächlich waren digitale Fotos kurz nach ihrem Aufkommen dahingehend stigmatisiert „zu perfekt“ zu sein. Die Perfektion digitaler Bilder hat seitdem nicht mehr abgenommen, wir haben nur unser Sehen geändert. Mitunter hat das die Folge, dass wir „unperfekte“ Bilder mit emotionalen, nostalgischen, atmosphärischen Gefühlen belegen.
Dasselbe kann natürlich auch bei Schwarzweiß- oder Sepia- oder Wasauchimmer-Stilen der Fall sein. Im Trend liegen jedoch analog wirkende Stile und davon ist auch überwiegend die zeitgenössische, fotografische Kunst geprägt. Aber was heißt eigentlich „analoger Stil“? Oder besser: wie sieht der aus?
Ich habe ja in den vergangenen Artikeln bereits erläutert, dass man mit Presets in RAW-Konvertern das Verhalten und die Charakteristika analogen Filmmaterials nachempfinden kann. Nichts anderes ist das, was ich als „analogen Stil“ bezeichne: Beschnittenes Weiß, kontrastarme Schwarztöne, ISO-Rauschen, teilweise flaue Farben.
Die Kunst des Unperfekten
Ein Beispiel: Das Bild vom Briefkasten habe ich mit einer der am weitesten entwickelten spiegellosen Systemkameras in RAW aufgenommen, der Sony A7 II.
Links seht ihr das entwickelte RAW-Bild. Es ist relativ schwierig einzuschätzen, denn es ist wirklich äußerst gut – sehr großer Dynamikumfang, keine abgesoffenen Schatten, keine ausgebrannten Lichter. Es wirkt recht plastisch, klar definiert und recht hell. Ein wenig zu flach, was aber daran liegt, dass es in RAW ohne größere Vorgaben aufgenommen wurde. Möglicherweise ist es etwas zu kühl, aber das kann man ohne weitere Referenzen nicht einschätzen.
Rechts daneben dasselbe Bild mit einer Filmsimulation des Agfa Vista, mit ISO 800 und (warm) korrigiertem Weißabgleich.
Die Vergrößerung zeigt es noch deutlicher: Gegen das extrem detailreiche, saubere Originalbild wirkt die Filmsimulation deutlich schlechter. Die Tiefen sind dunkler, es finden sich mehr Kontraste. Aber die hohe Lichtempfindlichkeit des „Films“ sorgt für starkes Rauschen. Dadurch werden die Tiefen matschig und die gravierte Schrift kann man kaum noch lesen. Auch die Farben driften mehr in komplementäre Bereiche ab. Die Lichter sind noch stärker gedämpft.
Es ist nicht perfekt. Aber haltet eine Seite zu und dann die andere. Und sagt mir dann, welche Seite euch mehr Charakter, mehr Geschichte vermittelt. Welche Seite euch mehr inspiriert.
Filmographisches
Noch ein Beispiel, um zu verdeutlichen, was die von mir gemeinten Filmsimulationen von Spaßfiltern und dergleichen abhebt.
Das Foto von Svenja habe ich mit meiner Nikon D800 in RAW geschossen. Links seht ihr das Original. Typisch für ein RAW: relativ „flach“ und mit etwas flauen Farben. Einfach, weil noch keine tiefergehenden Charakteristika definiert sind. Es hat einen etwas kühlen Eindruck, was ganz gut zum herbstlichen Look passt.
Rechts daneben eine Filtersimulation. Sie basiert auf einem Kodak Ektachrome E100VS, der mit einem Frontier gescannt wurde. Dieser Film ist für seine leicht überbetonten Farben und starken Kontraste bekannt. Und genau das sieht man auch deutlich im Foto. Die Farben wirken satter, das Licht etwas wärmer und die Schatten am Boden treten deutlicher heraus.
Das ist das Wesentliche, was ich euch klar machen möchte, wenn ich von Filtersimulationen spreche: keine extensiven Änderungen am Foto, die die Farben, die Temperatur oder noch mehr ändern. Filmsimulationen greifen behutsamer ein, erhalten den Grundton des Bilds und fügen die Charakteristika hinzu, die ihnen ein echter Film verliehen hätte.
Man kann natürlich noch weiter gehen, denn auch die Bandbreite an analogen Filmen war gewaltig:
Links seht ihr eine Entwicklung, die auf einem Kodak Royal Gold-Film mit ISO 400 und korrigiertem (kühleren) Weißabgleich beruht. Trotz dieser letzten Änderung behält der „Gold“ die satteren wärmeren Töne und kombiniert sie mit bläulich kühlen Schatten. Auch hier: der Grundton einer herbstlich kühlen Stimmung bleibt derselbe; das herbstliche tritt sogar noch deutlicher durch die Kombination von gelbem Licht und blauen Schatten zutage.
Rechts daneben eine bearbeitete Filmsimulation mit einem Vintrochrome-Stil. Dieser herrliche analoge Stil ist in fast allen Belangen unvollkommen und beschnitten. Die Farben sind entsättigt und driften in grün-kalibrierte Bereiche ab, neigen dabei aber zu einem gelblichen Grün. Die Schatten sind beschnitten: Achtet auf den Streifen rechts neben dem Schal, der deutlich „gräulicher“ und kontrastärmer ist als auf dem Original. Dasselbe gilt für die Lichter: das gleißende Sonnenlicht direkt im Gesicht ist längst nicht mehr so weiß wie zuvor. Im Falle der Baumlücke am Ende des Weges bedeutet das für das Bild, dass das Licht dahinten neben dem Kopf weit weniger vom Model ablenkt als noch zuvor.
Ich möchte behaupten, dass die ach so perfekten Bilder der D800 immer noch nicht so künstlich perfekt aussehen, wie den digitalen Fotos einst vorgeworfen wurde. Je teurer Kameras werden, desto mehr achten die Hersteller auch darauf, dass dies nicht der Fall ist. Ich mag die Bilder der Nikon, das Original-Bild könnte man durchaus hernehmen und den meisten Menschen würde es so gefallen. Aber werft einen Blick auf die analogen Schwestern und sagt mir, welches für euch am meisten Atmosphäre vermittelt.
Zeitgenössisch
Die moderne, zeitgenössische Fotografie ist voll von diesen analogen Stilen. Sie holen etwas in die Bilder zurück, das die Menschen seit dem Aussterben der analogen Fotografie vermissen. Eine Fotografin, die diesen Stil ausgesprochen gut beherrscht, ist Maud Chalard:
An ihren Fotos sieht man die bestimmenden Charakteristika ebenfalls sehr, sehr deutlich: Starke Kontraste mit teilweise noch stärker beschnittenen Höhen und Tiefen. Sattes Schwarz ist praktisch gar nicht zu finden, dafür komplementäre Farben, meist kräftiges Rot und stets driften die Fotos ein wenig zu stark in Richtung Kühl oder Warm ab.
Ich gebe zu, dass ich Maud Chalard gewählt habe (und speziell diese Bilder) ist etwas gemein. Aber ich will es euch nicht verheimlichen, denn ihr wollt ja etwas lernen. :) Ihre Motive passen geradezu perfekt zu diesem Stil: Sie zeigen Menschen in emotionalen Situationen sowie Intimität. Wenn wir solche Motive in diesem Stil sehen, vermittelt es uns auf der Stelle die richtigen Gefühle.
Es sind aber nicht nur einzelne Künstler, die diesen Stil pflegen, er ist nahezu überall bei verschiedensten Fotografen anzutreffen. Aber die grundlegenden Parameter bleiben gleich:
Wie fühlst du dich?
Ihr seht nun also, was der Unterschied sein kann und worauf ich hinaus will. Raubt euren Fotos die Perfektion und gebt ihnen das Leben zurück, das in ihnen wohnt. Das muss nicht mit einem analogen Stil geschehen. Wenn ihr starke Kontraste und tiefe Schatten mögt – fein. Wenn ihr in Schwarzweiß seht und eure Bilder dadurch gewinnen – perfekt!
Das wichtigste ist, dass ihr euch traut, mehr von euren Fotos zu verlangen.
Im nächsten Beitrag dieser Reihe werde ich euch ein Werkzeug vorstellen, dass euch die nötige Macht an die Hand gibt.
#dunkelkammerkunst:
- Einführung
- Die Basis – RAW und RAW-Konverter
- Presets
- Fühl dich analog!
- Weitere Beiträge zu diesem Thema stellen einzelne Preset-Packs oder auch Mobile Apps vor, oder widmen sich Bildbearbeitungsthemen bzw. Stilanalysen. Alle sind über #dunkelkammerkunst zu finden und werden im Laufe der Zeit erweitert.
Mehr!
- Weitere, ausführliche Artikel rund um das Thema „Fotografie lernen“ findet ihr hier.
- Schnelle Tipps und Hinweise habe ich hier zusammmengetragen.
- Meine ganze Fotografie und Digital Art verpackt mit Worten.
- Ausgesuchtes im mworkz.portfolio





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