Kurz und bündig: ein Blick auf „das Objektiv“ für digitale Spiegelreflexkameras.
Vor fast genau einem Jahr brachte Zeiss ein Objektiv heraus, das eine neue Produktserie begründete und mit einem bescheidenen Anspruch die Bühne betrat: mit dem Otus 1.4/55 wollte Zeiss schlicht das beste Objektiv bauen, das für DSLRs zu haben ist. Ihr könnt in meinem Hands-on-Bericht dazu nachlesen, ob ihnen das gelungen ist oder einfach im Netz nach Lobeshymnen stöbern.
Inzwischen brachte das Unternehmen ein weiteres Modell ins Rennen. Und mit nicht minder hohem Anspruch. Laut Zeiss ist das Otus 1.4/85 das beste „kurze Tele-Objektiv“ der Welt. Und verdammich, ich bin geneigt, ihnen das zu glauben.
Natürlich, man könnte den Leuten bei Zeiss Arroganz unterstellen. Im Gespräch kamen wir auf das Thema der neuesten hochauflösenden Kameras. Als das erste Otus auf diesem Planeten aufschlug, war die Nikon D800, die ich selbst habe, das Maß aller Dinge (Hands on zur D810). Ihrem 36-Megapixel-Sensor konnte man nur wenig optisches Futter vor den Latz schrauben, das die Leistung liefern konnte, nach der die Kamera geifert. Inzwischen hat es Sony gewagt, in die ultrakompakte A7R (Hands on hier) ebenfalls einen 36-Megapixel-Sensor einzubauen und schließlich kam auch Canon aus dem Knick und packt die Auflösungskeule aus, um stumpf alle anderen zu erschlagen. Die EOS 5DS und 5DS R rollen mit einem 50-Megapixel-Vollformat-Sensor auf das Schlachtfeld.
Im Gespräch, wie gesagt, meinte der Pressesprecher von Zeiss, er freue sich auf die neuen Canon-Kameras. Denn die sind es neben den 800er-Nikons, für die das Otus unter anderem entworfen wurde. Und bei Zeiss ist man der Meinung, dass das Objektiv sogar noch Spielraum nach oben bietet…
Eindruck
Also schön, erstmal zum Eindruck des Otus 1.4/85. Lässt sich schön in einem Wort zusammenfassen: wahnwitzig. Brachial. Angsteinflößend.
Jap, das waren drei Worte, ich weiß. Habe mich zusammen gerissen. Aber genau wie meine Vorgabe sprengt das Otus die Grenzen. Wir haben hier ein kurzes Teleobjektiv, dessen kameraseitiges Ende etwa den Umfang eines DSLR-Bajonetts hat. Kurz darauf platzt es aus allen Nähten und wird zu einem fetten Klumpen aus Glas und Metall, der nicht weiß, ob es ein 500-Millimeter-Objektiv werden soll und auf halber Strecke damit aufhört.
Im Bild links seht ihr eine getarnte Nikon D4. Ein monströses Teil und das größte fette Ding, das Nikon baut. Angesetzt ist das 55er Otus, das – wie ich damals schon schrieb – ebenfalls ungewöhnlich groß und schwer ist für eine Normalbrennweite. Gegen das neue 85er jedoch wirkt es regelrecht schlank. Das neue Tele ist einfach der Inbegriff von Kompromisslosigkeit. Das elegante Gehäuse täuscht perfekt über die rund 14 Zentimeter Länge und die knapp 10 Zentimeter Durchmesser hinweg. Nochmal: die Frontlinse hat fast den Durchmesser einer CD. Damit wirkt sie fast wie ein schwarzes Loch, dem kein Licht entkommt.
Übrigens ein überflüssiger Hinweis am Rande: Tatsächlich benutzt der Hersteller schwarze Speziallacke für das Innere eines solchen Objektivs, um jede noch so kleine Reflexion zu vermeiden.
Jedenfalls sollte man beim Umgang mit dem Zeiss Otus voll bei der Sache sein und bloß keine schwitzigen Finger haben. Der Fokusring hat eine weiche Gummierung, keine Riffelung. Das fühlt sich ganz gut an, zieht aber jedes Staubkorn im Umkreis von 10 Metern an und ist nicht ganz so griffig wie eine Riffelung. Außerdem ist das Baby schwer. Rund 1,2 Kilogramm an einer ebenso schweren Kamera sind nicht grade Schnappschussgeeignet. Nicht, dass das Otus dafür gedacht wäre. Es gleicht fast einer Schande, damit ein Foto zu machen, das nicht perfekt ist.
Aber dazu kommen wir jetzt…
Eigenschaften
Wenn ihr hier regelmäßig mitlest, wisst ihr, dass ich ein Fotografiefanatiker bin, in dem ein begeisterter Junge mit großen Augen lebt. (Spätestens an dieser Stelle könnt ihr euch von der Objektivität dieses Artikels verabschieden). Und das schöne ist: Bei all der Technik, den Top-Modellen und Flaggschiffen, die ich schon segeln durfte, gibt es immer noch etwas, das ich nicht ausprobiert habe und über das ich mich freue, wenn es soweit ist. Das 1.4/85er Otus ist eins dieser Dinge.
Im Grunde hat Zeiss da eine Optik auf Mittelformat-Niveau gebaut, die einen Anschluss für kompaktere SLR-Systeme hat. Wem das nichts sagt: Optiken für MF-Kameras kosten ab etwa 4.000 Euro (nach oben fast offen) und sind ihr Geld für gewöhnlich auch wert. So einfach ist das und gleichzeitig schwierig zu verstehen. Wir reden hier von Konstruktionen, die Systeme mit 50 bis 80 Megapixel befeuern müssen, deren einzelne Pixel größer sind als bei jeder anderen Kameraklasse darunter und mit denen man Bilder herstellt, die auch auf Hauswandgröße nicht zu undefinierbarem Brei werden. Die Ansprüche an so eine Linsenkonstruktion sind enorm.
Will man so etwas für Vollformat-DSLRs bauen, kann man vermutlich wenig Rücksicht auf Spielereien (und den Fotografen) nehmen. Darum ist das Otus auch so schwer. Und darum hat es auch keinen Autofokus. Zeiss wird das immer wieder vorgeworfen und sehnlichst wünschen sich SLR-Anwender ein Otus mit AF. Der Hersteller bleibt aber hart und hat ein simples Argument: Baut man die Konstruktion beweglich, ist es wesentlich schwieriger, die Elemente auszurichten, sie so exakt aufeinander abzustimmen und dann auch noch über Jahrzehnte fehlerfrei zu halten.
Klingt nachvollziehbar. Aber nicht für jeden, denn der Qualitätsfaktor des Otus bewegt sich auf einem Niveau, das für Durchschnittsfotografen eigentlich nicht zu erkennen ist. Es fällt sehr schwer, einfach so zu beurteilen, wie „gut“ denn das Ding wirklich ist. Dazu ist mir folgendes aufgefallen. Abgesehen von dem extrem soliden Gehäuse, das im Duden hinter dem Wort „Wertigkeit“ steht, fallen vor allem die 11 Linsenelemente auf.

Besser gesagt: sie fallen nicht auf. Öffnet man die Blende zum Maximum und schaut dann durch das Objektiv, zieht es dich ohne Gnade in sich hinein. Und man kann praktisch ohne Irritationen durchsehen. Bis auf die Linsenverzerrung natürlich hat man das Gefühl, als würde man lediglich durch eine dünne Fensterscheibe sehen statt durch fast 1 Kilogramm geschmolzenen Sand. Das war der erste Moment, in dem ich mir fast ein kleines Tränchen wegdrücken musste.
Performance
Auch das Otus 1.4/85 habe ich an der Nikon D800 gehabt. Geistig habe ich mich damit schonmal von scharfen Fotos verabschiedet. Es gibt eine Menge Faktoren, die das rechtfertigen. Erstens: die irrsinnige Auflösung des Sensors verzeiht nicht die geringste Unschärfe und nur Chirurgen können scharfe Fotos unterhalb von vielleicht 1/100 Sekunde schießen. Legt sich eine Wolke vor die Sonne, braucht man 1/200. Zweitens: Die D800 ist schwer. Man kann sie sehr gut mit ein wenig Kraft ausbalancieren und bekommt viel Feedback, aber irgendwann ist die Kraft weg und die Kamera zittert wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Drittens: Mit dem Otus wird sie etwa doppelt so schwer.
Trotzdem sind mir ein paar scharfe Aufnahmen gelungen.
Ich schiebe das zum einen auf den wirklich hellen Sucher der D800. Zum anderen auf das Otus. Das Bild ist so kristallklar und hell, dass einem die Zähne klappern. Wer „nur“ einen APS-C-Kamerasucher kennt und das direkt miteinander vergleicht, wird auf der Stelle tot umfallen. Wir wissen, dass optische Sucher in Sachen Präzision nicht mehr ganz das Nonplusultra sind, aber dennoch: Bis auf wenige Millimeter genau (hängt vom Anwender ab) kann man damit tatsächlich durch den Sucher den Fokus mit dem Otus festlegen. Problemloser geht das natürlich mit Live-View und Suchervergrößerung. Dann aber halt nur auf dem Stativ – alles andere bricht einem die Arme.
Interessanterweise kam mir an dieser Stelle das erste Mal der Gedanke, dass man die D800 mit einer Mattscheibe modifizieren kann, die einen Schnittbildindikator hat. Das ist eine dringende Empfehlung von mir an alle Fotografen, die vielleicht mit der Nikon-Otus-Kombination oder anderen manuellen Objektiven arbeiten wollen.
Nochmal zum Fokussieren: Ich schrieb ja, dass der Fokusring glatt ist und ihm die Riffelung fehlt. Was teilweise ein Nachteil sein mag, fällt beim Arbeiten erstaunlicherweise nicht ins Gewicht. Der Drehwinkel des Rings liegt bei 261 Grad, das heißt, man muss relativ viel kurbeln, wenn man den gesamten Schärfebereich durchfahren will. Aber meine Güte, geht das geschmeidig. Tatsächlich ist es mir bisher nie so richtig aufgefallen, aber beginnt man beim Otus, den Ring zu drehen, gibt es null komma gar keine Verzögerung. Da ist kein Rucken, es geht nicht am Anfang schwerer und dann schneller oder umgekehrt. Der Anschlag ist weich und über den gesamten Weg absolut gleichmäßig. Ich habe keine Ahnung von Ingenieurwissenschaften und weiß nicht, wie schwer das ist. Aber diese Mechanik ist erstaunlich und hat mich nochmal fast zum Weinen gebracht.
Genauso wie die Bilder.

Beim Hands on zum 55er Otus habe ich versucht, Bildfehler wie mäßige Kontrastdarstellung zu erklären. Blablabla zu chromatischen Aberrationen und so weiter. Den Quark spare ich mir an dieser Stelle und beschreibe meinen Eindruck etwas anders.
Bildfehler sind für das 1.4/85 nicht existent.
Zumindest fast nicht. Ich sage das nicht, weil ich das neue Otus so unglaublich abfeiere, sondern weil ich (beruflich bedingt) Tests damit gemacht und das Ding vermessen habe. Detailergebnisse darf ich hier keine geben, aber ich kann es ja umschreiben: Die Leistung des Otus bricht erst ein, wenn man den Deckel drauf setzt. Basta.
Natürlich bin ich gemein und provoziere Bildfehler. Selten hat es mir ein Objektiv dabei so schwer gemacht, wie das neue Zeiss. Aberrationen sieht man höchstens, wenn man direkt in eine Sonnenfinsternis hinein fotografiert. (Vermutung, nicht ausprobiert *g*). Unter allen anderen Umständen war es mir fast unmöglich, diese farbigen Kanten zu provozieren. Die Vignettierung ist messtechnisch existent, liegt aber außerhalb der menschlichen Wahrnehmung. Dasselbe gilt für die Geometrie. Wenn das Bild irgendwie verzerrt ist, dann habt ihr vermutlich die gekrümmte Raumzeit selbst fotografiert. Oder ihr habt Tränen in den Augen.
Nochmal: das ist kein gehyptes Urteil – schon bei den Zeiss Loxias für die Sony-Kameras musste ich zugeben, dass mir noch nie derartig perfekt berechnete Objektive untergekommen sind. Auch beim neuen Otus trifft das zu. Es bietet eine gleichbleibend (äußerst) hohe Leistung, die es unter anderem zum Prototypen unter den Porträtoptiken macht.
Fazit
An dieser Stelle sollte ich einen Schlussstrich ziehen. Nach den obigen fast 1.600 Wörtern glaubt mir eh keiner mehr, dass das Objektiv in dieser Form wirklich existiert.
Ich glaube es selbst kaum und hatte es in der Hand. Ich bin wirklich gespannt, ob ich es nochmal zusammen mit einer der neuen Canon-Kameras testen kann. Das wäre erneut ein Grund zum Weinen. Nicht zuletzt natürlich wegen dem Preis. Für rund 4.000 Euro bekommt man ein Objektiv mit Blende f1.4 und 85 Millimetern, bei dem sogar noch der Autofokus fehlt und das nichtmal zoomen kann. (das letzte war ein Scherz, okay?). Aber mich würde mal interessieren, ob ihr das für gerechtfertigt haltet oder für total überzogen.
Ich kann nur sagen: Das neue Otus erfordert Geschick, Erfahrung und man sollte wissen, was man tut, wenn man es einsetzt. Kommt alles zusammen, bringt es die Skalen aller Maßeinheiten zum Anschlag und liefert bestmögliche Bildqualität.
Mehr!
- Die Bilder oben kann man sich hier in Originalauflösung anschauen.
- Weitere voll aufgelöste Bilder zu meinen Hands On-Berichten sind hier zu finden.
- Mehr Hands on-Berichte selbst zu verschiedensten Kameras und Objektiven gibt es hier.
- Ausgewählte Arbeiten im mworkz.portfolio






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