Wer von euch hat eigentlich eine Festbrennweite in der Fototasche? Bei wem ist es ein 50-Millimeter-Modell?

Meine Kamera-Karriere verlief vermutlich ähnlich wie die der meisten Aufsteiger: begonnen mit einer Kompakten, gespart auf eine (analoge) DSLR und dann Umstieg auf digitale SLR sowie Aufstieg zu teureren und größeren Modellen derselben Klasse. Ich bin also schnell bei Systemkameras gelandet. Allerdings mochte ich als Anfänger natürlich die Möglichkeit, zu zoomen. Der Objektivpark meiner geheiligten Minolta Dynax umfasste daher neben einer Makrofestbrennweite nur Zooms. Nach dem Umstieg auf digital war das nicht viel anders. Eigentlich noch schlimmer, denn statt einem echten Makro setzte ich auf einen Satz Nahlinsen. Frevel aus heutiger Sicht.
Es hat tatsächlich bis zur Monsterkamera Nikon D800 gedauert, bis ich eine 50-Millimeter-Festbrennweite einsetzte, kennen und lieben lernte. Viel zu spät, wie ich heute fast bedaure…

Das Nifty Fifty
Im Finanzsektor gibt es Aktien, die hoch bewertet aber nicht teuer sind. Darauf stürzen sich Anleger wie die Geier, denn mit ihnen kann man nichts falsch machen. Der Begriff für diese Aktien lautet „nifty fifty“. Diese Bezeichnung wurde auch für das Canon EF 50mm f/1.8 II geprägt – denn es bot eine leichte Bauweise und scharfe Bilder zu einem niedrigen Preis. Heute wird der Begriff herstellerübergreifend verwendet, allerdings für dieselbe Sache: ein Objektiv, das jeder in seiner Tasche haben sollte.
Vorteile
- Man kann das Nifty Fifty fast als verlässlichen Allround-Partner sehen. Die Brennweite liegt im Standard- oder auch Normalbereich, man kann also einen sehr natürlichen wirkenden Bildwinkel ohne Verzerrungen erfassen.
- Außerdem hat sich eine hohe Lichtstärke für die 50er etabliert, die bei mehr als 1:2,0 liegt – man bekommt also auch einen schönen Look mit viel Schärfentiefeeffekt. Und trotz fehlender Zoomfunktion liegt hier bereits ein Vorteil gegenüber den verstellbaren Brennweiten. Üblicherweise liegt die höchste Lichtstärke bei 1:3,5 oder 1:4, seltener bei bis zu 1:2,8 (Ausnahme hier).
- Das heißt, dass man mit einem Nifty Fifty bereits die Tür zu mehr Möglichkeiten aufstößt. Man kann bei weniger Licht fotografieren (muss später die ISO hochschrauben und hat weniger Rauschen), mit noch weiter geöffneter Blende, mit mehr Schärfentiefeeffekt und die maximale Auflösung des Objektivs wird früher erreicht.
- Genau: Festbrennweiten sind in aller Regel schärfer als Zooms. Sie können eine höhere Bildauflösung erreichen, die dann dem Sensor zugute kommt. Ist auch ganz klar, denn eine zoomfähige Linsenkonstruktion ist immer ein Kompromiss, denn sie muss verstellbar sein und unterschiedliche Dinge leisten. Je mehr Glaselemente verwendet werden, desto „schlechter“ die Lichtqualität, die am Sensor der Kamera ankommt.
- Ergibt sich von selbst aber noch schnell notiert: niedrige ISO ist ebenfalls verantwortlich für schärfere und knackigere Bilder. Die kann man auch am Tisch beim Abendessen noch machen, während ein Zoom u.U. die Kamera dazu zwingt, alles schon schön verrauschen zu lassen.
- Man arbeitet mit einer festen 50er Brennweite als Fotograf gegen sich selbst und seine Faulheit. Statt das Motiv einfach ranzuholen, muss man die Beine zum Zoomen nutzen. Man muss sich bewegen, um ein Motiv zu framen, wird gezwungen, die Perspektive zu ändern, wird herausgefordert, Kanten und Linien zu nutzen. Ich kann nicht einfach alles mit dem 50er ablichten und das ist gut so – denn das zwingt mich, mir zu überlegen, was ich wirklich ablichten will. Was ich brauche und was nicht.
- Und es regt daher natürlich zum Experimentieren ein. Das Spielen mit der Schärfentiefe, mit Bokeh-Effekten oder einfach mit Licht wird jeder an sich selbst beobachten können, der ein Nifty Fifty einsetzt.
- Die Nifty Fifties sind meist recht günstig, dabei aber keinesfalls schlecht. Beweise dafür gibt es eine Menge. Auch viele meiner Modelfotos im Studio oder außerhalb sind mit der Brennweite entstanden. Noch extremer ist der Vergleich zwischen dem „Canon 50mm f/1.8 II“ für 125 Dollar und dem „Yongnuo 50mm f/1.8“ für 40 Dollar. Das werdet ihr sicher nicht erwarten…
- Man muss sich nur mal ein Beispiel vornehmen: Shootet man innen oder am späten Abend ein Model, will man eine Telebrennweite, die lichtstark ist. Man schnappt sich also ein 24-70mm-Zoom, das 900 Euro kostet. Oder man hat ein 70-200mm-Zoom, für das man 1.150 Euro hingelegt hat. Oder aber man gibt ein paar Millimeter Brennweite (die man mit den Beinen wettmachen kann) auf gegenüber noch mehr Lichtstärke und einen dramatisch niedrigeren Preis von rund 100 Euro.
Nachteile
- Oben habe ich so die Schärfe gelobt, aber das kann man leider natürlich nicht pauschalisieren. Bisher waren viele Japan-Nachbauten von 50er Festbrennweiten im Ruf, bessere Flaschenböden zu sein. Und auch bei maximaler Offenblende sind viele Fiftys eher weich. Dafür werden sie aber spätestens ab f2 scharf. Mein eigenes Nikkor 50mm f1,2 ist ab dieser Blende so scharf, dass man sich die Netzhäute dran aufschnippelt.
- Äußerst lichtstarke (oder stark gekrümmte) Linsen neigen eher zu chromatischen Aberrationen. Bei starken Kontrasten und maximaler Offenblende können also regelmäßig farbige Säume auftauchen.
- Du kannst nicht zoomen. Und formatfüllende Porträts von jagenden Geparden sind auch eher schwierig. Darum nennt man es auch Systemkamera – die 50er Festbrennweite ist nicht für alles praktisch, denn für andere Sachen gibt es andere Objektive. Dafür ist das 50er meist günstig genug, um es sich zu jeder anderen Optik dazu zu kaufen.
- Ein interessanter Effekt: Manche der älteren 50er haben keinen Autofokus, weil es den damals evt. noch nicht gab. Manche haben keinen AF, damit sie billiger verkauft werden können. Und manche haben keinen, damit man die absolute Leistung rausquetschen kann. Gängige Nifties haben heutzutage aber einen AF standardmässig.
Beispielmodelle
Ich verweise mal auf ein paar Berichte und Aufnahmen, die mit festen 50-Millimeter-Brennweiten gemacht wurden. Die Links verweisen vorrangig auf meine eigenen Artikel und zeigen sich manchmal etwas großzügig in Bezug auf die Brennweite – ich habe hier und da auch mal ein paar Millimeter dazu geschmuggelt. Aber nicht, weil ich euch meine Artikel um die Nase reiben will, sondern weil das betreffende Beispiel vom Hersteller als die Standardbrennweite gesehen und empfohlen wird.
Weiter unten gibt es dann auch noch Verweise auf klassische Modelle, die ich noch nicht selbst in der Hand hatte.
- Seit ich selbst die Nikon D800 habe, fotografiere ich daran fast nur mit meinem Nikkor AF-S 50 mm 1:1,8G. Das kann man sogar an einer 6.000-Euro-Kamera verwenden: Nikkor AF-S 50 mm 1:1,8G an der Nikon D4s

- Ein kleiner Schatz in meinem Koffer ist das Nikkor 50 mm 1:1,2. Es ist das schnellste Objektiv, das Nikon baut und wird seit 1978 „King of Bokeh“ genannt. Es ist manuell und hat einfach eine umwerfende Optik: Nikkor 50 mm 1:1,2 an Nikon D800
- Die Sony A7-Kameraserie umfasst großartige Geräte. Netterweise gibt es dafür auch großartige Optiken wie das Sonnar® T* FE 55 mm F1,8 ZA an der A7s.

- Das gerade genannte Objektiv wird von Sony gebaut, ist aber von Zeiss zertifiziert. Zeiss baut inzwischen auch eigene Modelle für die Sony-A7-Kameras. Mein lieber Scholli: das Loxia 2/50 an der Sony A7 ist eines der am perfektesten berechneten Objektive, die mir je untergekommen sind.
- Auch Sigma hat vor nicht allzu langer Zeit eine hochwertige und lichtstarke 50er Festbrennweite ins Programm genommen. Nicht grade ein „Nifty Fifty“ in preislicher Hinsicht, aber ein geiles Teil: Das Sigma 50mm F1,4 DG HSM [A] an der Canon EOS 1200D und der EOS 5D Mark II.
- Gipfelstürmer, Würdenträger, Krone der Schöpfung: das erste Otus von Zeiss hat viele Namen. Es handelt sich um eine 55-Millimeter-Festbrennweite, die nicht nur schwer, sondern auch eines der besten Objektive ist, die ich jemals ausprobieren konnte. Sie wurde für extrem hochauflösende Kameras entworfen: Zeiss Otus 1.4/55 an der Nikon D800.

- Ein exotischer Grenzfall ist das „HandeVision Ibelux 0,85/40 mm“. Es hat 40mm Brennweite, ist aber für CSC-Kameras entworfen. Bei besonders kleinen Sensoren gerät es somit bis auf fast 80mm, doch das Ding gibt es auch für Fuji- und Sony-ASP-C-Sensoren und liegt dann bei etwa 60mm. Auf jeden Fall bietet es einen beeindruckenden Look, denn es ist schlicht die lichtstärkste Festbrennweite für CSC-Kameras, die es gibt. Das HandeVision Ibelux 0,85/40 mm an der Panasonic Lumix GF6.
- Eine Vorstellung der „üblichen Verdächtigen“ findet ihr hier. Dort gibt es Sachen wie das „Canon EF 50mm f/1.4 USM „, das „Pentax SMC DA 50mm f/1.8“ oder das „Sony DT 50mm f/1.8 SAM“
- Noch eine Legende ist das „Canon 50mm f/0.95“ mit einem unfassbaren Look. Es wurde in den 1960er und 1970er Jahren produziert. Der Fotograf Paul Marbrook hat das Ding an eine Sony A7-Kamera adaptiert.
Beispielbilder
Jeder meiner oben verlinkten Artikel enthält bereits anderthalb Tonnen an Fotomaterial, das in voller Auflösung auch auf flickr gefunden werden kann.
Ganz oben hatte ich ja geschrieben, dass die „Nifty Fifties“ einen besondern Look kreieren und zum experimentieren und künstlern einladen können. Darum verweise ich hier nochmal auf eine schöne Sammlung von 80 Aufnahmen, die alle mit der wichtigsten Brennweite aufgenommen wurden, die man haben kann.
Fazit
Qualität hin oder her. Teuer oder billig. Plastik oder Glas und Metall. Das Nifty Fifty hat viele Ausprägungen und viele Qualitäten.
Ich habe mich zwischendurch zum Beispiel oft gefragt, ob es wirklich lohnt, sich eine solche „Billiglinse“ zu kaufen, wenn ich doch eine Kamera habe, deren Sensor der (zurzeit noch) hochauflösendste VF-Sensor ist, den es gibt und die Kamera weit über 2.000 Euro kostet. Die logische Antwort lautet „Natürlich nicht“. Eine Recherche jedoch korrodiert dieses Argument: selbst billigste Japan-Nachbauten wie das Yongnuo 50mm f/1.8 können anderen Markenmodellen nicht nur die Stirn bieten, sondern übertreffen es auch in manchen Belangen. Nicht selten auch der Schärfe.
Ein weiteres Argument für die 50er sprengt dann jegliche Vorbehalte hinweg und ist mir persönlich am wichtigsten: Maximale Bildqualität oder nicht – das Nifty Fifty regt die Kreativität an und zwingt dich zum Handeln. Faulheit zahlt sich hier nicht aus, du musst etwas tun, wenn du ein Bild haben willst. Es wird gut aussehen, wenn du etwas investierst. Und darum ist es die wichtigste Brennweite, die man haben kann.
Und ihr so?
Ich greife nochmal die eingangs genannte Frage auf: habt ihr selbst ein solches „Nifty Fifty“ zuhause und was sind eure Erfahrungen? Würde mich echt mal interessieren, ob ihr solche Objektive an sich ebenso einschätzt wie ich. Vielleicht ist das für euch ja auch eher unbrauchbarer Glasabfall.
Falls ihr andere interessante 50er-Modelle kennt oder nutzt, dann ab in die Kommentare damit. Auch weitere Vor- und Nachteile sind willkommen.



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