Es gibt Tage, die sind wie Weihnachten. Nur ohne Schnee. Also wie jedes Jahr, nur früher. Das ist dann, wenn ein Paket ankommt, dein Name drauf steht und du schon beim Auspacken unterdrückt kichern musst.
Update: Link zu Bildern in voller Auflösung ganz unten.
Das war bei mir letzte Woche der Fall. Und sorgsam ausstaffiert in dem gut gepolsterten Paket war Sigmas jüngster Stolz: das Super-Telezoom „150-600mm F5-6,3 DG OS HSM [S]„. Gut 30 Zentimeter massives Metall und Glas mit dem Willen, „dieses Foto zu kriegen“. Es sieht aus wie ein Objektiv, von dem man lediglich gehört hat, weil es nur Profis nutzen, die massig Geld mit ihrer Arbeit verdienen. Aber es scheint dir auch zu sagen „Ich bin besser als das.“ Und was es damit meint, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Vergleich
Also schön, beginnen wir beim Offensichtlichen und dem, wofür sich die meisten Leute interessieren dürften. Dem Vergleich mit dem Tamron SP 150-600mm F/5-6.3 VC USD.
Die Kurzfassung: Der Name klingt ähnlich, das wars.
Spaß beiseite, da ist natürlich noch mehr. Auffällig ist selbstverständlich, dass die beiden Teile dieselben technischen (Grund-)Daten zu haben scheinen. Sie decken 150 bis 600 Millimeter Brennweite ab, was eine beeindruckende Hausnummer ist. Auch die maximalen Blendenöffnungen sind mit f5 bzw. f6,3 im Telebereich gleich. Und die lustigen Buchstabenkombinationen verraten uns, dass beide Stabilisatorsysteme und leise Fokusmotoren an Bord haben. Pflichtausstattung. Allerdings stolpern wir beim Sigma über den Vermerk [S], der – Kenner kennen das klar – für die professionell ausgelegte Sports-Produktlinie bei Sigma steht. Und damit beginnen die Unterschiede.
Das Tamron-Zoom gehört definitiv zu den beeindruckendsten und spaßigsten Optiken, die ich ausprobieren durfte – den Test dazu findet ihr hier. Der Hersteller hat damit keine perfekte aber eine erstaunlich gute Optik im Portfolio. Zu einem angemessenen Preis. Diese Kombination ist sogar dermaßen verlockend, dass Tamron ein dreiviertel Jahr nach Markteinführung immer noch Lieferschwierigkeiten hat, weil die Produktion nicht nachkommt. Soviel dazu.
Da ist es natürlich nicht ungewöhnlich, dass Sigma ein Konkurrenzprodukt auf den Markt kippt. Sie wären ja auch dumm, wenn sie diese Chance verstreichen lassen würden. Allerdings gelten im Hause des japanischen Herstellers ein paar andere Produktionsrichtlinien und der Fokus auf ein Premium-Image.
Das bringt es mit sich, dass das 150-600er von Sigma doch eine ganze Ecke unterschiedlicher vom Tamron-Pendant ist.
Zusammengefasst: das Sigma-Zoom ist größer, schwerer und noch furchteinflößender. Es hat einige Ausstattungsmerkmale, auf die ich später noch eingehen werde und die das Ganze noch ausgeklügelter und beeindruckender werden lassen. Es erfordert genauso viel Aufmerksamkeit und Können wie das Tamron. Aber es verlangt ein bisschen mehr Muckis vom Fotografen.
Ich möchte noch einmal ganz klar stellen: Die Fakten sprechen für sich, das S-Modell des 150-600er ist tatsächlich besser als das Tamron-Pendant. Großes ABER: Ich möchte die beiden nicht direkt miteinander vergleichen, denn sie haben beide ihre Daseinsberechtigungen. Tamron ist es gelungen, eine extrem performante Optik mit einem ungewöhnlich guten Preis zu verbinden. Sigmas neues Baby ist für eine andere Liga gebaut. Wie wir aber wissen, wird Sigma demnächst einen direkten Konkurrenten zum Tamron bringen. Dieselbe Optik, allerdings auf Diät gesetzt und in der C-Produktlinie platziert. Erst damit wird ein berechtigter Vergleich möglich sein.
Eindruck
Folgende Anekdote zum Eindruck des Sigma. Vielleicht könnt ihr es damit besser nachvollziehen…
Ich bin mit dem Objektiv im Park gewesen. Ich wollte das Teil nicht offensichtlich reinschleppen, das war mir zu peinlich, also habe ich es in den einzigen Rucksack gestopft, in den es passte und bei dem mir fast eine Naht geplatzt wäre. Man hat also mit einer Canon EOS 5D Mark II rund vier Kilogramm grenzenlosen Spaß auf dem Rücken. Nachdem ich drin war, stellte ich fest, dass das Wetter gut genug war, um den Park vor Menschen fast bersten zu lassen. Tolle Voraussetzungen für jemanden, der nicht groß auffallen will.
Ich suchte mir ein etwas abgelegenes, schattiges Plätzchen und holte Kamera+Objektiv heraus, schnallte mir meinen Carryspeed-Gurt um, hängte die Ausrüstung ein und … schämte mich fast 30 Minuten lang bei meinen ersten Metern im Park. Die Leute starrten mich an, als hätte ich einen zweiten Kopf auf den Schultern oder eine verdächtige Beule in der Hose. Das Sigma-Zoom kann einfach nicht übersehen werden – es geht nicht. Es ist schwarz, brachial, mit Streulichtblende fast 40 Zentimeter lang, hat vorne den Durchmesser einer CD und zieht an deiner Schulter wie ein Husky im Zwinger. Hat man sich daran erstmal gewöhnt, dann ändern sich die Blicke der Leute. Sie scheinen zu sagen: „Oh, Fotograf! Mach mal Platz für den da.“ Und du wirst vom peinlich berührten Außenseiter zum stolzen Papa eines Optik-Babys. Hat bei mir ne halbe Stunde gedauert.
Soviel zum subjektiven Eindruck des Sigma.
Eigenschaften
Die Sports-Ausführung des 150-600er setzt dort an, wo die Spaß-Fotografie endet. Und das gilt in allen Belangen. Wer nur aus Spaß fotografiert, wird nicht so viel Geld für ein Objektiv ausgeben, wird so ein schweres Gerät nicht mitschleppen wollen und ist mit der Bildqualität zufrieden, die er mit seiner Ausrüstung erlangen kann. Für alle, die mehr wollen, ist das neue Sigma gedacht.
Wie auch bei SLR-Kameras mit professionellem Anspruch sind auch bei modernen Objektiven immer öfter witterungsbeständige Modelle anzutreffen. Das Sigma Super-Tele ist ganz in diesem Sinne staub– und spritzwasserfest sowie wasserabweisend beschichtet. Der Gesamteindruck ist wirklich massiv. Das Baby besitzt eine komplexe Konstruktion aus ganzen 24 Linsen in 16 Gruppen, die vorderste davon mit einem Durchmesser von fast zehn Zentimetern. Das ganze Glas und Metall kommt insgesamt auf ein Gewicht von knapp 2,8 Kilogramm. Nicht unwesentlich trägt dazu vermutlich die Stativschelle bei, der man einiges zutrauen darf. Sogar mehr als üblich, denn Sigma hat sie mit einer Rasterung versehen – dreht man das Objektiv auf dem Stativ, dann klickt es in 90-Grad-Schritten ein, sodass man exakt den gewünschten Winkel einstellen kann.
Es gibt noch mehr Spezialitäten. Neu ist auch der Zoom-Lock-Schalter, der nicht nur das ein- bzw. ausgefahrene Objektiv sperren kann, sondern auch an verschiedenen Stellungen dazwischen. Damit verhindert man, dass das schwere Kopfende ungewollt ausfährt und hat das Sigma in der bevorzugten Brennweiteneinstellung sofort einsatzbereit.
Auch in Sachen Elektronik hat sich der Hersteller zu ein paar Extras hinreißen lassen. Moderne Optiken lassen es ja zu, dass man trotz Autofokus den Fokusring manuell bedienen kann, ohne, dass es die Mechanik zerbröselt. Das hat Sigma dahingehend verfeinert, dass man dies nun auch kann, während eine kontinuierliche Schärfenachführung aktiv ist. Und da man das 150-600er Sports auch noch selbst programmieren kann, lässt sich intern sogar regeln, wie stark der Druck durch die Hand sein muss, damit man den Fokusmotor übersteuert. Über die passende Software kann das Telezoom noch weiter nach eigenen Vorlieben angepasst werden – bis hin zur Geschwindigkeit des Autofokus. Das ganze wird dann in bis zu zwei Profilen abgespeichert und kann per Schiebeschalter am Objektiv aktiviert werden. Ob das ein Must-Have-Feature ist oder Spielerei kann ich schwer einschätzen, da das schlicht über den normalen Hausgebrauch hinweg geht. Aber ich kann mir vorstellen, dass professionelle Sportfotografen auf so etwas immer gewartet haben.
Performance
Wenn ich bei der Performance des neuen Sigma mäkeln würde, dann nur, damit ich was zu mäkeln habe. Anders gesagt: hervorragend. Wer das Super-Tele gestemmt bekommt, der macht damit ausgezeichnete Bilder. So einfach ist das.
Allerdings erfordert eine solche Konstruktion auch eine sehr gute Kamera, so viel sollte klar sein. Für scharfe Aufnahmen bewegter Objekte sollte bestenfalls 1/200 Sekunde und kürzer eingestellt sein – immerhin liegt die Anfangsblende „erst“ bei f5. In schattigen Bereichen sind die Bilder damit schon deutlich unterbelichtet. Eigentlich gut, denn aufhellen geht immer. Wer aber gleich hellere Bilder will, muss auch die ISO hochdrehen und hier sollte die Kamera absolut rauscharm sein.
Das Bild des witzigen roten Vogels oben (sorry, Name nicht gemerkt) habe ich bei 360 Millimetern, f6,3, 1/250 Sekunde und ISO 100 aufgenommen. Hellt man das auf, kommt die gute alte EOS 5D Mark II schon ganz ordentlich ins schwitzen.
Beachtet man allerdings einige Regeln oder hat ausreichend Licht, dann bekommt man jedes Bild, das man will. Limitierender Faktor ist das neue Sigma definitiv nicht. Der Autofokus ist rasant und kann noch schneller getrimmt werden, wenn man den Fokusbereich mittels Schalter festlegt. Zum Beispiel auf alles zwischen 2,6 Metern und 10 Metern. Bei 260 Zentimeter liegt übrigens auch die Naheinstellgrenze, Makrofotos will man mit dem Telezoom also eher nicht machen. Zumindest nicht in der Nähe – einer kleinen Wasserschildkröte auf 10 Metern Entfernung formatfüllend die Augen wegknipsen, das geht schon.
Der Bildeindruck ist brillant, glasklar und optische Fehler wie Aberrationen sieht man in gewöhnlichen Fotos schlichtweg nicht.
Fazit
Das Sigma 150-600mm F5-6,3 DG OS HSM [S] will von Profis gekauft und bedient werden. Es verlangt nach jemandem, der es rausbringt und mit ihm Fotos macht, die über das Normalknipspensum hinausgehen. Es will im Gras liegen und auf Rotwild lauern oder am Rand einer Rennstrecke stehen und Autos jagen.
Das heißt aber nicht, dass es nicht auch von Semi-Profis und solchen, die sich nur so nennen, gekauft werden wird. Es gibt genug Leute, die für so etwas Geld übrig haben und es mit in den Zoo schleppen. Sinniger ist der Einsatz auf einer Safari, denn hier braucht man seltener etwas unter 150 Millimetern und ist mit einem 150-600mm-Zoom flexibel und perfekt bedient.
In welchen Fällen auch immer – über die Bildqualität braucht man sich definitiv keine Sorgen machen.
Mehr!
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