Und es hört nicht auf mit spannenden Neuvorstellungen. Nach dem Zeiss Otus und der Nikon Df steuert Tamron nun eine frische Linsenkonstruktion mit Haben-Will-Faktor bei.
Von Tamron gab es leider eine ganze Weile nichts Neues. Einige angekündigte Projekte wurden auf Eis gelegt, anderes wird noch nicht angegangen. Umso überraschender kam da die Ankündigung des SP 150-600mm F/5-6.3 VC USD. Damit wollte man ein Ultra-Telezoom auf den Markt bringen, das den bisher größten Brennweitenbereich des Herstellers mit einem aggressiven Preis verbindet.
Eindruck
Das Tamron 150-600 ist ein brachiales Teil. Objektive von diesem Kaliber haben Hobbyfotografen eher selten in der Hand und entsprechend respekteinflössend legt sich das neue Tamron vertrauensvoll in die eigenen Hände.
Dort liegt es aber erstaunlich gut. Denn im Gegensatz zu Objektiven mit einer durchgehenden Lichtstärke von 1:2,8 ist es noch relativ schmal. Beim Umgang damit fällt direkt ein Detail auf: die enorm solide Stativschelle ist nicht nur etwas größer dimensioniert und weiter nach vorne gezogen als gewohnt, sondern auch an einer Seite gewellt. Dort fasst man als Fotograf beim Transport nämlich zuerst an und legt die Finger in die Wellenform – so hat man gleich mehr Sicherheit beim Tragen.
Eher ungewohnt ist aber, dass sich beim Zoomen die Baulänge ändert und das Objektiv ausfährt. Das hat nicht nur dramatischen Einfluss auf die Länge der Konstruktion, man muss auch mehr Kraft aufwenden, das Teil oben zu halten, wenn man gerade nicht mit Stativ arbeitet.
Einen wichtigen Eindruck will ich nicht unerwähnt lassen: Es ist faszinierend, durch ein so starkes Tele zu schauen und so konzentriert und dicht gepackt die Motive zu entdecken. Als ich damit unterwegs war, hatte ich außerdem die 5D Mark II dabei sowie eine weitere SLR samt Standardzoom. Und ich kann nur sagen – wechselt man mit dem Auge vom Tele an die 18-Millimeter-Weitwinkel der anderen Kamera, bekommt man einen richtigen Schock, weil einem die Brennweite erstmal so wirklich bewusst wird.
Eigenschaften
Das 150-600er Tamron ist nicht gerade eine federleichte Plastiklinse. Der komplexe Aufbau besteht aus 20 Linsen in 13 Gruppen. Das ist eine Menge Glas, deren vorderstes Element einen Durchmesser von lichtschluckenden 9,5 Zentimeter hat. Integriert sind im Gehäuse ein Autofokusmotor sowie ein Bildstabilisator. Insgesamt bringt es das niedliche Tele damit auf knapp zwei Kilogramm Lebendgewicht. Ich war damit einen Tag lang unterwegs, hatte das Stativ aus Faulheit zuhause gelassen und konnte abends vor Zittern kaum einen Löffel Suppe an den Mund bringen. Muskelkater am nächsten Tag, kein Scherz. :)
150 Millimeter sind ein angenehmes Tele, 600 Millimeter am Vollformat bieten schon beeindruckende Bildeindrücke. An eine APS-C-Kamera angesetzt ergibt sich sogar eine Brennweite von fast einem Meter. Um solch enorme Werte zu einem bezahlbaren Preis bereitstellen zu können, müssen Kompromisse eingegangen werden. Die Länge des Objektivs ist zum Beispiel einer. Eingefahren ist das Tamron fast 26 Zentimeter lang, ausgefahren etwa 33 und mit angesetzter Streulichtblende bringt es das Teil sogar auf 44 Zentimeter. Ich kenne mich mit Waffen nicht so aus, aber ein Raketenwerfer ist auch nicht viel länger, oder?
Jedenfalls wirkt das Ganze schon ziemlich beeindruckend und als ich damit unterwegs war, ist mir mehr als einmal aufgefallen, wie statt etwas anderes ich selbst fotografiert wurde. Für den Umgang mit dem Tamron bedeuten seine Maße erhöhte Aufmerksamkeit. Kaum jemand dürfte es hinkriegen, das Teil länger als 30 Sekunden zu halten, ohne dass der Arm anfängt, zu zittern. Beim Tragen kann es außerdem passieren, dass die schweren Frontlinsen den Tubus dazu bringen, auszufahren. Tamron hat daran gedacht und einen Lock-Schalter integriert, der das Ausfahren sperrt.
Und vielleicht der wichtigste Kompromiss: die Lichtstärke. In 150-Millimeter-Einstellung steht dem Fotografen Blende f5 als Maximum zur Verfügung. Das ist okay. Bei 600 Millimetern ist es f6,3. Das ist schonmal sehr gut. Natürlich geht da prinzipiell noch mehr. So bietet etwa Sigma das legendäre und monströse 200-500mm F2,8 EX DG, das unter Insidern auch „die Regentonne“ genannt wird. Aber so etwas hat auch seinen Preis (in diesem Fall lächerliche 24.000 Euro). Als direkten Konkurrenten kann man eher Sigmas 150-500mm F5,0-6,3 DG OS HSM sehen, das eine UVP von rund 1.300 Euro hat. Im Gegensatz dazu wählt auch Tamron eine moderate Lichtstärke, presst aber noch etwas mehr Brennweitenbereich raus und bietet das ganze zu einem relativ erschwinglichen Preis von knapp 1.400 Euro an.
Performance
Auch hier erwartet man Kompromisse, ganz klar. Ein perfektes Ultra-Telezoom kann man nicht für unter zweitausend Euro kaufen. Aber das ist okay. Und das neue Tamron ist gar nicht mal schlecht.
Die Fotos in diesem Artikel sind mit der Canon EOS 5D Mark II entstanden. Und es fällt mir immer wieder auf, dass zunehmend Objektive aufkommen, denen die Kamera unterlegen ist. In diesem Fall äußert sich das in der Fokusleistung. Das Tamron ist wirklich flott und praktisch unhörbar. Visiert man eine vor sich hin watschelnde Ente an und verfolgt sie, zeigen sich keinerlei Probleme. Schwieriger wird es bei Vögeln im Flug oder dem Neufokussieren wenn sich die Entfernung stark ändert – hier gerät vor allem die Canon ins Schlingern und betreibt erstmal fröhliches Schärfepumpen. Das Sport- oder Tiermotiv ist in dieser Zeit schon Vergangenheit.
Noch ein Grund, warum man eine gute Kamera – respektive einen potenten Sensor – braucht: Die Lichtstärke des Tamron ist ja nunmal nicht die höchste. Will man Sportmotive, rennende oder fliegende Tiere fotografieren, dann braucht man schnelle Verschlusszeiten. Bei Blende f5 oder f6,3 sind die nur zu kriegen, wenn man auch tagsüber auf ISO 400, in der Dämmerung sogar gerne mal auf ISO 1.600 oder mehr geht. Bei der Mark II rauscht es dann schon so langsam…
Hm, wie formuliere ich meine Eindrücke in Sachen Bildqualität? Das letzte Ultra-Tele, das ich ausprobiert habe, war das Sigma 120-300mm F2,8 DG OS HSM [S]. Ein beeindruckendes Teil, das einem die Tränen in die Augen treiben kann. So gute Bilder wie das Sigma-Biest liefert das Tamron nicht (allerdings kostet es auch weniger als die Hälfte). Aber sie sind besser, als man denken mag. Im Test fallen ganz leichte chromatische Aberrationen auf, vor allem in gleichmäßigen Motiven bemerkt man eine leichte Vignettierung und wenn man es drauf anlegt, kann man auch eine kissenförmige Verzerrung erkennen. All diese Merkmale sind aber typisch für Teleobjektive und mal mehr und mal weniger deutlich erkennbar. Wenn ihr euch die Bilder hier im Artikel anseht, werdet ihr feststellen, dass diese Bildfehler in der Praxis kaum eine Rolle spielen. Die Vignettierung trägt oft sogar zum Eindruck der Tiefe bei. Wen es wirklich stört: Dank Korrekturprofilen können viele Raw-Entwickler diese Fehler automatisch ausbügeln.
Fazit
Ich habe keine eigene Telebrennweite, aber ich liebe es, damit zu fotografieren. Man kann Tiere oder die Nachbarin beim Umkleiden fotografieren, ohne, dass sich das Motiv beobachtet fühlt… ;)
Was aber noch besser ist: dieser unheimlich dichte Bildeindruck. Das Gefühl für Tiefe, das, was ich immer wieder als den „SLR-Effekt“ bezeichne. Das macht das Tamron toll und ist meiner Meinung nach das wichtigste Kriterium. Zumindest für die angepeilte Zielgruppe. Wer sich das SP 150-600mm kauft, will keine perfekte Bildqualität. Leichte Aberrationen und eine kaum sichtbare Verzerrung stören ihn nicht. Er will Motive einfangen, an die er so nicht rankommt. Und das wird ihm damit gelingen.
Mehr!
- Die Bilder oben in Originalauflösung kann man sich hier anschauen.
- Weitere voll aufgelöste Bilder zu meinen Hands On-Berichten sind hier zu finden.
- Mehr Hands on-Berichte selbst zu verschiedensten Kameras und Objektiven gibt es hier.
- Ausgewählte Arbeiten im mworkz.portfolio





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