Das Jahr fängt gut an! Ihr habt hier den ersten Hands On-Artikel des Jahres vor euch und der präsentiert gleich mal ein frühes Highlight.
Leser dieses Blogs wissen es und ich selbst werde nicht müde, es unentwegt zu wiederholen: meine eigene Kamera ist eine Nikon D800. Ihr wisst schon, dieses monströse Ding, das Nikon vor einigen Monaten mit einem Paukenschlag auf den Markt geworfen hat.
Nikon hat damit das Segment der DSLR-Kameras gehörig ins Wanken gebracht. Der Sensor mit seinen 36 Megapixel Auflösung übertraf nicht nur alles in dieser Riege dagewesene, sondern kratzte auch schamlos an der Grenze zu den Mittelformatkameras. Wie man es gewohnt ist, legte sich die Skepsis schnell und die D800 wurde rasant zu einem Bestseller.
Ich bin voller Lob ob dieser Kamera, sie ist ein hervorragendes Arbeitsgerät. Aber ich erwähne stets auch immer die Herausforderungen, die eine solche Kamera mit sich bringt. Viele sind im Blog zu lesen, an dieser Stelle möchte ich vor allem einen Fakt erwähnen: die mehr oder weniger geringe Auswahl an passenden Objektiven.
Denn Optiken, die dem enormen Detailhunger und der gigantischen Auflösung einer D800 gerecht werden, sind nicht gerade weit verbreitet. Mit Einführung der Kamera hat sich eine Lücke aufgetan, die ein gefundenes Fressen für Zeiss war. Und so dauerte es nicht allzu lang, bis das traditionsreiche Unternehmen ein Objektiv ankündigte, das den gesteigerten Ansprüchen hochauflösender SLR-Kameras gerecht werden sollte. Der Name: Zeiss Otus 1.4/55.
Eindruck
Ähnlich wie die Nikon D800 erregte auch die Ankündigung des Otus einiges an Aufmerksamkeit. Dafür sorgte nicht zuletzt Zeiss selbst, denn die Aussage war eindeutig: das Unternehmen wollte all seine Erfahrungen im Optik-Bereich einbringen, um schlichtweg das beste Objektiv zu bauen, das man für SLR-Kameras bekommen kann. Und meine Herren, ich glaube, sie haben es geschafft.
Ich gebe zu, ich war ziemlich gespannt und nervös angesichts der Tatsache, dass ich das momentan begehrteste Objektiv der Welt ausprobieren konnte. Klassenmässig handelt es sich um eine sehr lichtstarke Standardbrennweite. Die Offenblende liegt bei f1,4, die Brennweite beträgt 55 Millimeter. Nichts spektakuläres, aber sehr vielseitig einsetzbar.
Schon der erste Kontakt mit dem Otus vermittelt deutliche Werte. Das Ding ist ein kompromissloser Optikbrocken. Es liegt gewichtig (rund 1 Kilogramm!) in der Hand und ist etwa doppelt so lang wie ein gewöhnliches 50-Millimeter-Modell (Ich selbst habe ein 50mm f1.8 an meiner D800)
Im Objektivbau setzen viele Hersteller auf ein Gehäuse aus besonders robustem Kunststoff. Mit dem Otus hat der Fotograf fast nur Glas und Metall in der Hand, selbst die Streulichtblende ist aus Metall gefertigt. Sehr eindrucksvoll.
Auffällig auch, dass das Otus keinen Autofokus hat. Als Erklärung greift auch hier wieder die Kompromisslosigkeit, die sich Zeiss auf die Fahne geschrieben hat. Der Fotograf soll die volle Kontrolle haben, sich nicht dazu verleiten lassen, auf eventuell unzuverlässigen Autofokus zu verlassen und der gesparte Platz kommt der Linsenkonstruktion zu gute.
Eigenschaften
Stichwort Linsenkonstruktion. Wer schon einmal mit einem Weitwinkelobjektiv von Zeiss gearbeitet hat, weiß, wie unverschämt gut diese Modelle beispielsweise Verzerrungen korrigieren. Das ist nicht zuletzt auf das optische Design zurück zu führen, das bei dem Unternehmen unter der Bezeichnung „Distagon“ läuft. Erstmals nutzt das Otus als Standardobjektiv ebenfalls das Distagon-Design. Mit der komplexen Anordnung aus 12 Linsen in 10 Gruppen (zum Vergleich: das Nikkor 50mm f1.8 hat 7 Linsen in 6 Gruppen) wollte man eine möglichst perfekte Fehlerkorrektur in einer ohnehin sehr fehlerfreien Brennweite realisieren. Außerdem hat man viel Wert gelegt auf das Kontrastverhalten und die Aufrechterhaltung von Schärfe und Helligkeit bis in die äußersten Bildränder. Also dort, wo die Werte für gewöhnlich stark abfallen.
Größtenteils nur für Profis, aber die Unterschiede sind durchaus sichtbar. Beispiel: Man fotografiert bei grauem Himmel einen Holzpfosten, der scharf fokussiert ist. Im Hintergrund ist unscharf ein Fischernetz zu sehen. Aufgrund der Beleuchtung und der Entfernung zum Netz hat es diffuse Ränder und ist irgendwie … grauschwarz. Eher grau als schwarz. Wenn man das mit einer eher schlechteren Optik fotografiert, neigt das Grau dazu, farbig abzudriften. Es wird heller, vielleicht etwas mehr Magenta oder Grün. Unter Umständen sind auch farbige Säume an den Rändern des Netzes zu sehen, dort, wo der hellere Himmel daran anschließt.
Fotografiert man das Ganze mit dem Otus, dann ist das Netz schwarz. So, wie es tatsächlich mit dem Auge gesehen wird. Das sind wirklich minimale Unterschiede, die einem Hobbyfotografen niemals (negativ) auffallen würden. Beim Zeiss-Objektiv spielt das und einiges andere jedoch eine Rolle.
Performance
Was soll ich sagen: der Einsatz des Otus hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Ehrlicherweise muss man sagen: wer nur Autofokus und leichte Optiken gewöhnt ist, muss sich umstellen. Aber wer lernt, mit dem 1.4/55 umzugehen, wird vor Lachen nicht in den Schlaf kommen. Das Ding ist unglaublich scharf, optische Fehler in den Bildern lassen sich nur mit brachialer Gewalt provozieren und beim Blick durch den Sucher scheint es, als hat man gerade einen flauen Schemen von seinem bisherigen Objektiv herunter gewischt.
Das Otus wischt die Skepsis eines Fotografen mit einem Schulterzucken beiseite und präsentiert kompromisslose Bildqualität. Damit rollt es das Objektivfeld von hinten auf. Amateure und fortgeschrittene Fotografen werden in den meisten Fällen nur wenig Unterschiede zu anderen Modellen feststellen. Das liegt aber nicht nur an deren Unerfahrenheit, sondern zum größten Teil an deren Ausrüstung. Bei kleineren Sensoren und weniger hochgezüchteten Kameras fallen mangelnde Bildschärfe oder geringe optische Fehler weniger auf. Umso mehr jedoch bei Geräten wie der D800 und das ist auch der Grund, warum ich stets davor warne, dass eine solch anspruchsvolle Technik auch Ansprüche an das Zubehör stellt.
Fazit
Ich bin gerne skeptisch. Ich halte meine Erwartungen lieber niedrig als das ich später enttäuscht werde. Im Falle des Otus war ich zu Beginn ebenfalls skeptisch, denn immerhin beschloss Zeiss, mal eben „das beste Objektiv der Welt“ zu bauen. War aber überflüssig. Auch wenn meine Erwartungen hoch gewesen wären, wäre ich nicht enttäuscht worden.
Was Zeiss hier präsentiert, beschleunigt den Puls erfahrener Fotografen von 80 auf 190 in der Dauer des Ansetzens an die Kamera. Das Ding schert sich nicht um Gefälligkeiten. Es ist schwer, wuchtig und groß. Und es ist tatsächlich kompromisslos.
Aufgrund der Feiertage konnte ich nur unpassende Fotos damit schießen und euch hier präsentieren. Zu gern hätte ich mich bei einem Modelshooting im Studio von den Bildern wegblasen lassen. Aber genau dahin würde meine Empfehlung für das Otus 1.4/55 gehen. Viele weitere Bildbeispiele gibt es auch auf Flickr und diese zeigen, dass man es problemlos überall einsetzen kann.
Wer das tun wird bei einem Stückpreis von 3.500 Euro? Das habe ich auch den Pressesprecher von Zeiss gefragt. Die Antwort: mehr Leute, als man denkt.
Mehr! Die Bilder oben in Originalauflösung kann man sich hier anschauen. Weitere voll aufgelöste Bilder zu meinen Hands On-Berichten sind hier zu finden. Mehr Hands on-Berichte selbst zu verschiedensten Kameras und Objektiven gibt es hier.




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