Über Google+ bin ich auf ein Gerücht gestoßen, das gestern im Netz aufgetaucht ist. Angeblich testet Canon einen 1D-Body mit einem 75-Megapixel-Sensor.
Ich schreibe das hier nicht in erster Linie, um den Megapixel-Krieg in meinen Blog zu tragen, sondern weil ich die Reaktionen auf diese Meldung interessant finde.
Der Krieg entbrennt
Einige von euch erinnern sich bestimmt noch: vor fünf bis zehn Jahren – sagen wir eher vor zehn – war der Megapixel-Krieg innerhalb der Digitalfotografie so richtig am Kochen. Fast monatlich kamen neue Modelle heraus und jedes von ihnen überbot das vorhergehende mit einer höheren Auflösung.
Der erste Waffenstillstand erfolgte bei acht Megapixel. Hier reklamierten bereits viele Fotografen, dass dies für Ausbelichtungen und Drucke reiche. Nachdem die Ingenieure die Probleme überwunden hatten, wurde weiter aufgerüstet. Immerhin verlangsamte sich bis zum heutigen Tag etwas das Wettrüsten.
12 bis 16 Megapixel sind heute bei Kompakten der Standard. Dankenswerterweise besitzen auch die allermeisten spiegellosen Systemkameras nicht mehr als 16 MP Auflösung. Das ist (und ich kenne es aus meinem Beruf) wirklich genug für diese kleinen Sensoren. Irgendwo zwischen 16 und 18 pegelten sich auch die APS-C-Spiegelreflexkameras ein.
Mit der Canon EOS 5D Mark II hat sich eine der beliebtesten Vollformat-DSLRs auf der Welt etabliert – 21 MP Auflösung. Die Nikon D600 bot 24 MP, die Nachfolgerin D700 nur noch 12 MP.
Paradigmenwechsel?
Ein Einlenken seitens Nikon? Die Flaggschiffe beider Konzerne scheinen dies zu bestätigen: die Canon 1Dx hatte ich selbst schon in der Hand. Ein Monstrum von Kamera. Auflösung: 18 MP. Auf Nikon-Seite thront die D4 über allem. Dieses Ding ist nicht von dieser Welt, auch mit ihr habe ich schon fotografiert. Doch auch hier: 16,2 MP Auflösung. Man scheint kapiert zu haben, dass extrem viele Pixel nicht mit mehr Bildqualität gleichzusetzen sind. Weniger Pixel auf mehr Sensorfläche können eben doch gut sein. Das ist unbedingt auch meine Meinung. Und das trotz der Kamera, die ich selbst besitze.
Aber langsam. Sowohl die D4 als auch die 1Dx darf man hier eigentlich nicht mit in den Topf werfen (die sind eh zu groß). Beide Kameras kosten über 5.000 Euro (pro Stück und ohne Objektiv, wohlgemerkt) und richten sich an Sport- Dokumentations- und Kriegsfotografen. Die sind dazu gebaut, von LKWs zu fallen, im Feuer zu liegen und danach immer noch mit Hochgeschwindigkeit Fotos aufzunehmen. Also sollte man sie eigentlich aus dem Megapixel-Krieg ausnehmen. Eigentlich…
Neues Waffenarsenal
Aber das Wettrüsten scheint dennoch nicht vorbei zu sein. Vor allem Nikon hat angefangen, den „kleinen“ APS-C-Sensoren der D5200 oder auch D7100 24 MP auf den Sensor zu quetschen. Es schien, als tritt Canon auf die Bremse: in der 700D finden sich 18 MP und in der 70D schlägt ein 20-MP-Herz. Aber dann hat es Nikon gewagt, einen Atomsprengkopf auf das Schlachtfeld zu rollen: die Nikon D800. In ihr ist ein Vollformatsensor verbaut, der mit einer Auflösung von 36 Megapixel sogar einen Angriff auf das Mittelformat wagte.
Ich schrieb es hier im Blog bereits: way too much für den Normalverbraucher. Die Fotografengemeinde stöhnte auf und echauffierte sich das erste Mal lauthals darüber, wie viel Pixel man denn noch auf einen Sensor packen soll? Je mehr davon, desto verrauschter die Bilder, das wisst ihr, liebe Leser, selbst alle.
Ich hatte die D800 im Test. Zweimal. Ich verliebte mich in sie aufgrund der Handhabung, der durchdachten Bedienung, der professionellen Verarbeitung. Das ist keine Kamera, sondern ein Werkzeug. Das wichtigste aber: Nikon hat es irgendwie geschafft, eine brillante Bildqualität aus dem Sensor heraus zu holen. Ich kenne zahlreiche Fotografen, die der Meinung sind, dass der Sensor trotz gewaltiger Auflösung fast schon bessere Bilder macht als Canons Konkurrent, die 5D Mark III.
Inzwischen besitze ich selbst eine Nikon D800. Und als langjähriger Fotograf bin ich trotzdem schwer beeindruckt. Der Dynamikumfang ist gewaltig, das Rauschverhalten großartig, der Autofokus ist grandios, die Bildgeschwindigkeit annehmbar.
Die Grenzen des Erträglichen
Jetzt kommen wir aber zum ersten Knackpunkt dieser riesigen Auflösung und dem großen Unterschied zu den oben genannten Flaggschiffen: der Geschwindigkeit. Ich schieße Fotos fast nur im RAW-Format. Ein solches Foto meiner D800 ist 70 Megabyte (!) groß. Totaler Irrsinn.
Der Expeed-3-Sensor der D800 schafft immerhin 4 bis 5 Bilder pro Sekunde, mit geeignetem Akku sogar 6. Eine erstaunliche Leistung, immerhin jagt er 350 MB pro Sekunde durch die Kamera. Mehr geht da kaum, denn die Bilder wollen ja verarbeitet und auch gespeichert werden. Die Speicherkarten müssen also auch einiges leisten. Toshiba hat vor ein paar Tagen die schnellsten SD-Karten der Welt angekündigt (die noch keine Kamera verarbeiten kann): Schreibgeschwindigkeit bis zu 260 MB pro Sekunde…

Der zweite Knackpunt: die anfallenden Daten. Kürzlich habe ich ein Modelshooting gemacht, wir hatten viel Spaß und haben einiges ausprobiert. Am Ende hatte ich 1.200 Fotos geschossen, knapp 84 Gigabyte Daten. Mittelformatfotografen kennen das „Problem“, schießen darum meist direkt auf einen Laptop oder PC und machen ohnehin weit weniger Aufnahmen. Mit einer mobilen DSLR jedoch kann man ungehemmt arbeiten und muss kaum an die anfallende Datenmenge denken. Und so kommt auch einiges zusammen.
Das sind nur zwei Punkte, warum solch eine Auflösung in einer DSLR vielleicht nicht das Nonplusultra sind. Aber ist es deshalb unwahrscheinlich, dass Canon mit einem 75-MP-Sensor experimentiert? Der Bilder produziert, die man auf eine Hauswand drucken könnte? Eingebaut in einem Body, mit Spiegelsystem, der eigentlich für Dauerfeuer ausgelegt ist?
Wer hat die größte Waffe?
Nicht unbedingt. Die Canon 1Dx verfügt über zwei DIGIC 5+-Prozessoren, die bis zu 14 Bilder pro Sekunde durch die Lötstellen pumpen. (Als ich das in der Hand hatte, hätte ich die Kamera vor Schreck fast fallen gelassen – unglaublich). Gönnt man jedem Bild 40 MB Größe, dann sind das rund 560 MB, die die Kamera pro Sekunde verarbeiten kann (für 38 RAW-Aufnahmen am Stück). Eine 75-MP-Canon mit derselben Ausstattung könnte also immerhin fast 5 Bilder pro Sekunde schaffen. Das erscheint mir realistisch.
Darüber hinaus verfügt der 1D-Body über eine Ethernet-Schnittstelle, kann also die Daten per LAN-Kabel an einen Server schicken, der zahllose Bilder wie ein Höllenschlund frisst.
Ein solches Gerät könnte also funktionieren. Aber wollen Fotografen das? Schaut man sich den Google+-Post nochmal an und liest die Kommentare, dann sind erstaunlich viele Fotografen dagegen.
Die Argumente beginnen bei den Speicherkarten. Ich selbst habe eine CF-Speicherkarte mit UDMA-Schnittstelle und 64 GB Kapazität. Ohne den Pufferspeicher der D800 käme selbst die kaum mit dem Speichern hinterher – und kostet im Laden rund 300 Euro! Was soll man einem 75-MP-Monster zu Fressen geben?
Das geht weiter mit der Bildgröße. Die Fotos meiner D800 haben eine (Druck-)Größe von 2,6 Metern mal 1,7 Metern. Ohne zu vergrößern kann man also mit einem Schnappschuss eine Zimmerwand tapezieren. Ein 75-MP-Bild besitzt eine Druckgröße von – festhalten – rund 6 Metern mal 4 Metern. Klar, das reicht für ein Bild von Omas Geburtstagstorte auf der Seitenwand eines gängigen LKW. Aber schon bei den D800 Bildern fragt mich Photoshop manchmal, ob ich noch ganz dicht bin, wenn ich die bearbeiteten Bilder speichern möchte. Bei so einer Kamera muss man also auch seinen Rechner aufrüsten.
Die Liste ist noch lang – viele Profifotografen berichten, dass die Bilder des D800-Bodys großartig sind, es aber nur sehr wenige Objektive gibt, die gut genug sind, um sie zu supporten. Es ist auch wahr, dass die Auflösung ab Blende 8 bis 10 relativ deutlich einbricht (zumindest aus Sicht von Profifotografen, für Amateure nicht spürbar) und damit ein relativ enger Arbeitsraum bleibt, der Mittelformatfotografen kaum stört, dem Prinzip einer DSLR aber leicht zuwider läuft. Viele Profifotografen merken auch an, dass Kunden selten Bilder bestellen, die größer als 50 mal 77 Zentimeter sind.
Braucht man also eine solche Kamera? Nur die allerwenigsten. Aber das heißt – und wir alle wissen das – nicht, dass es sie nicht geben könnte. Nikon hat mit der D800 einen wahren Affront begangen und irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Canon das auf sich sitzen lässt. Ich denke, der Megapixel-Krieg ist noch nicht am Ende angelangt.
Und ihr so?
Was denkt ihr? Wieviel ist genug? Könnt ihr euch Anwendungsfälle für eine solche Kamera vorstellen oder sollte man die Auflösungen lieber Mittelformatmodellen vorbehalten. Was schleppt ihr selbst so mit euch rum und reicht euch das?


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